3. Der Ausstiegs-Fahrplan: Wie du vom Opfer zum Gestalter deines Lebens wirst

3. Der Ausstiegs-Fahrplan: Wie du vom Opfer zum Gestalter deines Lebens wirst

(Dies ist Teil 3 unserer 4-teiligen Reihe: Vom unbewussten Drama zur bewussten Gestaltung)

In den ersten beiden Artikeln dieser Reihe haben wir eine Menge aufgedeckt. Wir haben das Drama-Dreieck mit seinen Rollen Opfer, Retter und Verfolger entlarvt und verstanden, warum wir durch die Überlebensprogramme unseres Nervensystems so stark in diesen Mustern gefangen sind.

Das Wissen um das "Was" und das "Warum" ist die Grundlage. Aber jetzt kommen wir zum entscheidenden Punkt, dem "Wie". Wie genau steigen wir aus, wenn wir mitten im Sturm eines Beziehungsstreits oder in einer festgefahrenen Dynamik stecken?

Dieser Artikel ist dein praktischer Fahrplan. Ich zeige dir drei konkrete Schritte, die du gehen kannst, um aus dem Drama auszusteigen und die ungesunden Rollen in kraftvolle, erwachsene Alternativen zu verwandeln.

Schritt 1: Erkennen – Wahrnehmung

Der allererste Schritt ist die Wahrnehmung. Wir müssen überhaupt erst einmal erkennen, in welcher Interaktionsrolle wir gerade sind. Oft ist es viel leichter wahrzunehmen: "Oh, krass, die letzten fünf Minuten habe ich verdammt viel versucht, jemanden zu retten", als die subtilen Signale unseres Nervensystems zu deuten.

Stell dir diese Fragen – vollkommen wertungsfrei, denn wir alle haben diese Rollen in uns:

  • Bin ich gerade dabei, jemandem immer wieder zu sagen: "Das ist falsch, das ist falsch"? (Verfolger)
  • Bin ich gerade in der Haltung, wo ich sage: "Es ist unmöglich, ich kann das sowieso nicht"? (Opfer)
  • Bin ich gerade dabei, die Probleme für jemand anderen lösen zu wollen? (Retter)

Es ist auch hilfreich, deine persönlichen "Eingangstore" zu kennen. Das sind die Rollen, die du aufgrund deiner Lebenserfahrung am liebsten einnimmst, weil sie sich bekannt und sicher anfühlen. Bist du häufiger in der Retterrolle? Häufiger im Opfer? Allein dieses Erkennen gibt dir die Möglichkeit, etwas anders zu machen.

Schritt 2: Auszeit nehmen – Den Stecker ziehen

Wenn du merkst, "Okay, gerade nicht hilfreich, wir sind gerade in diesem Opfer-Verfolger-Ding", ist der nächste Schritt, die Dynamik zu unterbrechen. Du musst eine Auszeit nehmen. Warum? Weil dein Nervensystem aktiviert ist. Du bist im Überlebensmodus, und aus diesem Zustand heraus kannst du keine erwachsenen Entscheidungen treffen.

Eine Auszeit zu nehmen kann ganz praktisch sein:

  • Körperlich Distanz schaffen: Sage: "Ich brauche kurz eine Pause" und mach einen Schritt aus dem Raum.
  • Dich selbst regulieren: Atme ein paar Mal tief durch. Geh ein paar Treppen auf und ab. Beruhige dich selbst. Diese somatischen Handlungen helfen deinem Körper, aus der Aktivierung auszusteigen.
  • Die Zeit zurückdrehen: In Sessions ist ein hilfreiches Tool zu fragen: "Ist es okay, wenn wir kurz die Zeit zurückdrehen? Wir sind irgendwo gelandet, lass uns den Punkt davor finden.".

Das Ziel ist, aus dem Überlebensmodus rauszukommen, damit du mit mehr Regulation wieder in die Situation gehen kannst.

Schritt 3: Positive Alternativen entwickeln – Die Rollen neu besetzen

Das ist der kreativste und kraftvollste Schritt. Wir steigen nicht nur aus dem Drama aus, wir erschaffen eine neue, gesündere Art der Interaktion. Jede der Drama-Rollen trägt nämlich einen natürlichen, gesunden Impuls in sich. Unsere Aufgabe ist es, diesen Kern freizulegen.

Wenn wir das tun, dreht sich das Drama-Dreieck quasi um. Die Interaktionen gehen nicht mehr abwärts ins Opfer-Dasein, sondern aufwärts, hin zu Handlungsfähigkeit und Augenhöhe.

Vom Opfer zum selbstwirksamen Akteur: "Ich kann"

Der Schritt aus dem Opfer heraus ist die Erkenntnis: "Nee, ich bin selbstwirksam, ich kann Dinge tun.". Es geht nicht darum, Probleme zu leugnen. Ja, du hast Herausforderungen, aber du bist fähig, etwas zu ändern.

Als selbstwirksamer Akteur übernimmst du die Verantwortung für deine Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche. Du bist motiviert, Dinge zu tun, und allein der Schritt, zur Therapie zu gehen oder ein schwieriges Gespräch zu suchen, ist ein Ausdruck dieser Handlungsfähigkeit. Der zentrale Satz ist nicht mehr "Ich kann nicht", sondern "Ich kann".

Vom Retter zum Unterstützer & Begleiter: "Ich begleite dich"

Der gesunde Impuls des Retters ist es, zu helfen. Als Unterstützer oder Begleiter tust du das weiterhin, aber von einem ganz anderen Ort aus. Du rettest niemanden, du gehst mit.

Du bietest an, was du kannst, um eine andere Person auf ihrem Weg zu begleiten. Du gehst auf Augenhöhe und sagst: "Hey, du, selbstwirksames Individuum, wie kann ich dich unterstützen?". Du musst niemanden mehr ziehen oder schieben. In einer gesunden Beziehung geht es darum, sich langfristig gegenseitig zu begleiten.

Vom Verfolger zum Herausforderer & Champion: "Ich stehe für mich ein"

Auch der Verfolger hat einen wichtigen Kern: Er schaut genau hin, was richtig und was falsch ist, und setzt Grenzen. Diese Kraft kann transformiert werden in die Rolle des Herausforderers oder Champions.

Als Champion stehst du für dich, deine Bedürfnisse und deine Wünsche ein. Du kannst ganz klar sagen: "Das will ich" und "Das will ich nicht". Du kannst dem anderen Feedback anbieten, aber in dem Wissen, dass er als selbstwirksamer Erwachsener selbst entscheidet, was er damit tut. Du forderst dein Gegenüber heraus, zu wachsen – nicht aus einer "one up"-Position, sondern als Angebot von Mensch zu Mensch.

Wenn wir diese neuen Rollen einnehmen, landen wir viel seltener im Drama-Dreieck. Selbst wenn uns jemand eine Opferrolle anbietet, steigen wir nicht mehr als Retter ein, sondern können fragen: "Ich sehe, das ist schwer für dich. Wobei kann ich dich begleiten?".

Das ist der Fahrplan. Im nächsten und letzten Teil dieser Reihe werden wir diese neuen, positiven Rollen zum Leben erwecken. Wir schauen uns ganz konkret an, wie ein Beziehungsstreit und eine Therapiesitzung aussehen, wenn sie nicht vom Drama, sondern von Augenhöhe, Selbstverantwortung und echter Verbindung geprägt sind.