1. Zwischenmenschliche Dynamiken in der therapeutischen Beziehung: Eine Einführung

Was ist eine Projektion? Was ist Übertragung? Und warum ist es für Körperarbeiter, Coaches oder Therapeuten entscheidend, diese Dynamiken zu verstehen?
Zwischenmenschliche Dynamiken
Zwischenmenschliche Dynamiken sind unsichtbare Muster, die zwischen Menschen ablaufen – meist unbewusst. Sie halten uns in alten Denk-, Fühl- und Verhaltensweisen gefangen. Und sie sind normal. Sie laufen ständig ab, in jeder Begegnung, zwischen allen Menschen.
Warum das in der Therapie ein Problem ist
In der therapeutischen Arbeit wird dieses „Normale“ zum Hindernis. Denn solche alten Muster blockieren Heilung und Veränderung. Darum ist ein zentrales Ziel jeder professionellen Begleitung: eine Beziehung aufzubauen, die möglichst frei von diesen alten Mustern ist.
Die therapeutische Beziehung
Eine gute therapeutische Beziehung bedeutet: zwei erwachsene Menschen arbeiten im Hier und Jetzt gemeinsam an einem Ziel. Nicht Eltern-Kind-Rollen, nicht Retter-Opfer-Dynamiken – sondern echte Zusammenarbeit.
Bildlich gesprochen
Die therapeutische Beziehung ist der Boden, auf dem die Arbeit wächst. Wenn dieser Boden sauber ist – also frei von alten Dynamiken – kann Entwicklung geschehen.
Resonanz
Man kann es auch anders sagen: Eine gute therapeutische Beziehung lebt von Resonanz.
Resonanz bedeutet: Ich bin ich. Du bist du. Und wir spüren einander wirklich.
Für den Behandler
Ich bin mit dir in Resonanz, wenn ich in mir mitbekomme, wie es gerade ist, du zu sein. Ich fühle dich – nicht weil ich es will, sondern weil ich innerlich mitschwinge. Diese Wahrnehmung nutze ich als Information, nicht als Reaktion.
Für den Klienten
Der Klient spürt das Gleiche: Er nimmt mich wahr als die Person, die ich hier und jetzt bin – nicht als Ersatzfigur aus der Vergangenheit. Nicht als Mutter, Vater oder Autorität, sondern als Begleiter.
Wenn Resonanz gestört wird
Zwischenmenschliche Dynamiken sind genau das, was diese Resonanz stört. Sie bringen altes psychologisches Material – alte Erfahrungen, Ängste, unbewusste Erwartungen – in die Beziehung. Dadurch wird die Wahrnehmung verzerrt. Das Hier und Jetzt verschwimmt mit dem Damals.
Warum das problematisch ist
Für Klienten
Der Klient erlebt immer wieder dieselben alten Geschichten. Er reagiert auf den Therapeuten, als wäre er jemand anderes. Er kann neue Erfahrungen gar nicht wahrnehmen, weil sein inneres System nur bestätigt, was es schon kennt. Er bleibt in Mustern gefangen, die er seit Jahren wiederholt – obwohl sie längst nicht mehr hilfreich sind.
Für Therapeuten
Auch wir sind nicht frei davon. Wir projizieren eigene Erfahrungen, reagieren aus alten Verletzungen, verlieren unsere Wahrnehmung.
Wahrnehmung
Wo Projektion oder Übertragung wirken, sehen wir nicht mehr klar. Wir interpretieren statt wahrzunehmen.
Erschöpfung
Und genau diese Sitzungen sind die anstrengendsten. Wir fühlen uns leer, frustriert, erschöpft. Denn dort begegnen sich keine zwei Erwachsenen – sondern zwei alte innere Systeme, die versuchen, alte Wunden zu reparieren.
Effektivität
Je mehr wir dagegen im Hier und Jetzt bleiben – als zwei Erwachsene, die gemeinsam forschen – desto einfacher, ruhiger und wirksamer wird unsere Arbeit.
Fazit
Zwischenmenschliche Dynamiken sind unvermeidlich – aber sie sind nicht hilfreich. Nicht für Klienten, nicht für Therapeuten, nicht für den Prozess.
Der Plan dieser Artikelserie
In dieser Serie geht es darum, genau diese Dynamiken besser zu verstehen und ihnen Schritt für Schritt die Macht zu nehmen. Wir gehen dabei in drei Schritten vor:
1. Verstehen
Was sind Projektion, Übertragung, projektive Identifizierung? Was geschieht dabei psychologisch?
2. Erkennen
Wie erkenne ich diese Muster im Kontakt? Welche Signale zeigen mir: Hier läuft etwas Altes?
3. Aussteigen
Wie kann ich den Kontakt wieder ins Hier und Jetzt zurückholen?
In diesem Sinne: Lass uns genauer hinsehen, wie Projektion und Übertragung funktionieren – und wie wir sie in unserer täglichen Arbeit erkennen können.