3. Beschützer, Manager & Feuerbekämpfer: Die Schutzstrategien unserer Psyche

Im dritten Teil dieser Einführung in die Internal Family Systems Theorie richten wir unseren Fokus auf die Beschützer. Wir wollen im Detail verstehen: Was sind Beschützer? Was bedeutet es, dass alle Beschützer eine positive Intention haben? Und was ist der Unterschied zwischen Managern und Feuerbekämpfern?
Was sind Beschützer?
In erster Näherung sind Beschützer Anteile, die uns vor Dingen schützen wollen – und diese Formulierung ist bewusst sehr allgemein gehalten.

Ganz allgemein versuchen Beschützer, uns meistens vor einer von zwei Kategorien zu beschützen:
1. Schutz vor bestimmten Situationen im Leben
Beschützer wollen verhindern, dass bestimmte potenziell schmerzhafte Situationen eintreten. Dabei können sie verschiedene Strategien entwickeln:
- Schutz vor Versagen: Sie werden versuchen, alles zu tun, um zu verhindern, dass wir versagen – indem wir zum Beispiel hart arbeiten.
- Schutz vor Ablehnung: Sie sorgen dafür, dass Menschen uns nicht ablehnen – indem wir zum Beispiel immer nett sind.
- Schutz vor Verlust: Sie versuchen zu verhindern, dass wir Verlust erleiden – indem wir zum Beispiel Nähe vermeiden und gar nicht erst in die Nähe von Verlust kommen.
- Schutz vor Einsamkeit: Sie tun alles, damit wir Einsamkeit vermeiden.
In vielen Situationen versuchen Beschützer also, bestimmte Situationen zu vermeiden, die schmerzhaft sein könnten – und häufig sind dies Situationen, mit denen wir in der Vergangenheit Erfahrungen gemacht haben, die wir nicht gut verarbeiten konnten.
2. Schutz davor, dass Schmerz in der Innenwelt fühlbar wird
Das zweite, was Beschützer häufig zu vermeiden versuchen, ist, dass Schmerz – und auch hier wieder in Anführungszeichen, weil Schmerz sehr vieles sein kann – in der Innenwelt fühlbar wird.
Das heißt konkret:
- Sie versuchen zu vermeiden, dass unverarbeitete Ereignisse oder Verbannte wieder hochkommen und ins Bewusstsein treten
- Sie wollen verhindern, dass Erinnerungen von negativen Erfahrungen, die wir irgendwo verstaut haben, wieder auftauchen
- Sie schützen uns davor, dass alte Emotionen oder auch somatische Aktivierung – besonders bei sehr frühkindlichen Erfahrungen oder bei Traumata – wieder berührt werden
Das ist das, was Beschützer versuchen zu vermeiden, und das, wovor sie uns schützen wollen.
Die Eigenschaften von Beschützern
Im Zusammenhang mit ihrer Funktion zu schützen haben Beschützer ihre eigenen charakteristischen Eigenschaften:
- Eigene Perspektiven: Sie nehmen bestimmte Dinge wahr – Dinge, die mit genau ihrer Rolle zu schützen zusammenhängen
- Eigene Motivationen: Dinge, die sie verhindern wollen oder erreichen wollen
- Eigene Glaubenssätze: Überzeugungen darüber, warum sie das tun und warum die Welt so ist
- Eigene Gefühle und Emotionen: Manche Beschützer werden schnell wütend, andere werden traurig, wieder andere nehmen gar keine Gefühle wahr
- Eigene Erinnerungen und Verhaltensweisen: Wie zum Beispiel der Teil, der mich immer wieder am Arbeiten hält
Wie Beschützer ihre Rolle erfüllen
Beschützer erfüllen ihre Rolle auf zwei Arten:

Aktivierte Beschützer
Sie werden aktiviert und beeinflussen dann das System. Der Teil, der viele Dinge tut, sagt dann einfach: "Hey, du kannst mehr machen." Man hört dessen Stimme, nimmt dessen Impulse wahr.
Verschmolzene Beschützer
Oder die Beschützer übernehmen das System komplett. Das können bei mir manchmal Tage sein, an denen ich einfach in so einen Arbeitsmodus komme. Der kann manchmal unglaublich hilfreich sein, er kann manchmal auch nicht so hilfreich sein. Aber das ist der Moment, wenn der Teil übernommen hat.
Die positive Intention aller Beschützer
Ein zentrales Konzept im IFS: Jeder Beschützer hat eine positive Intention. Er möchte etwas herbeiführen, was für den Organismus hilfreich ist. Das heißt, entweder möchte er bestimmte Dinge vermeiden, oder er möchte bestimmte Situationen erreichen.
Situationen vermeiden: "Nie wieder"
Das Vermeiden von Situationen geht häufig mit einer inneren Haltung von "nie wieder" einher:
- "Ich möchte nie wieder in so eine Situation kommen"
- "Ich möchte nie wieder, dass ich mich so fühle"
Dann tun die Beschützer alles, was dafür notwendig ist, um das zu erreichen.
Situationen erreichen: "Das hat gefehlt"
Das Erreichen geht oft damit einher, dass Beschützer in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht haben, dass etwas gefehlt hat:
- "Sicherheit – ich war nicht sicher, ich habe mich nicht sicher gefühlt"
Dann versuchen sie alles zu tun, was notwendig ist, um diesen Zustand von Sicherheit zu erreichen – was teilweise sehr schwierig sein kann, besonders wenn sie diesen Zustand nie wirklich erlebt haben.
Verbannte unten halten
Die dritte positive Intention: Sie versuchen, Verbannte, Erinnerungen und Emotionen unten zu halten. Das sind die positiven Intentionen, weil die Beschützer glauben, wenn eine Situation herbei käme, die sie versuchen zu vermeiden, wäre es überfordernd, wäre es zu viel.
Zwei Arten von Beschützern: Manager und Feuerbekämpfer
Das IFS unterscheidet zwei grundlegende Arten von Beschützern, die auf völlig unterschiedliche Weise arbeiten.

Manager: Die proaktiven Beschützer
Manager sind proaktiv. Das heißt, Manager sind Teile, die vorausschauend versuchen, unser Leben auf eine bestimmte Art und Weise zu organisieren und zu führen, damit bestimmte Situationen, damit bestimmte Gefühle gar nicht erst aufkommen.
Man kann zusammenfassend sagen: Manager versuchen Situationen durch Kontrolle zu vermeiden.
Das Symbol für die Manager ist die Krawatte – Manager sind quasi Teile, die uns zusammenhalten und versuchen, unser Leben so zu organisieren, dass wir erst gar nicht in problematische Situationen geraten.
Typische Manager-Verhaltensweisen:
- Hartarbeitende Taskmaster: Das "Tu, tu, tu"-Verhalten, das dafür sorgt, dass wir durch Leistung sicher sind
- Der People-Pleaser: Teile, die dafür sorgen, dass wir immer lieb und nett zu allen sind, damit gar nicht erst Probleme entstehen
- Der Selbstverkleinerer: Teile, die uns immer klein machen, damit wir keine Probleme verursachen
- Der Selbstvergrößerer: Teile, die uns besonders groß machen, damit auch so keine Probleme entstehen
Manager sind quasi die Teile, die – um uns zu schützen – dafür sorgen, dass wir bestimmte Verhaltensweisen immer und immer und immer wieder zeigen. Verhaltensweisen, die sich besonders in der Vergangenheit bewährt haben.
Feuerbekämpfer: Die reaktiven Beschützer
Feuerbekämpfer sind das genaue Gegenteil. Feuerbekämpfer sind reaktiv und werden besonders dann aktiv, wenn bereits Emotionen, Gefühle, Erinnerungen, Anteile oder Verbannte aktiv werden, die sie vermeiden wollen – von denen sie nicht möchten, dass wir sie wahrnehmen.
Sie sind insofern reaktiv, als dass sie alles tun, um zu vermeiden, dass wir das fühlen. Das heißt, da geht es nicht um Kontrolle, da geht es um Vermeidung.
Symbolisiert durch den Feuerwehrhelm: Sie löschen das Feuer der Emotionen. Im Verhalten sind Feuerbekämpfer oft extremer als Manager.
Typische Feuerbekämpfer-Strategien:
- Zoning out: Abschalten, Fernsehen, Filme, Netflix – weg, gar nichts mehr wahrnehmen. Denn dann kann ich auch keine Schmerzen, keine Emotionen wahrnehmen
- Überessen: So viel essen, dass ich nichts mehr wahrnehmen kann, bis ich voll bin
- Drogen: Substanzen, die das Bewusstsein verändern
- Sex: Als Mittel zur Flucht vor Emotionen
- Alkohol: "Wenn ich mich dafür selbst besaufen muss – wunderbar, eine Strategie, die funktioniert"
Feuerbekämpfer-Strategien haben oft etwas Impulsives, Dringendes. Sie werden aktiviert, wenn das emotionale Feuer bereits brennt.
Die systemische Perspektive: Beschützer sind um Verbannte organisiert
Um Beschützer systemisch zu verstehen, kann man sagen: Beschützer sind um Verbannte organisiert.
Das heißt: An den Orten, wo wir in der Vergangenheit bestimmte Erfahrungen, Situationen oder Ähnliches nicht verarbeiten konnten – wo wir immer noch Lasten wie Glaubenssätze oder überwältigende somatische Zustände in uns tragen – dort bauen sich Schutzstrukturen bestehend aus Teilen auf.

Diese Schutzstrukturen sorgen dafür, dass wir nicht immer wieder mit diesem Schmerz, der zu viel ist, in Verbindung kommen. Sie verhindern, dass diese Teile in uns hochkommen und das System überfluten.
Und das tun sie auf zwei Arten:
- Manager organisieren unser Leben so, dass wir gar nicht erst in die Nähe dieser alten Verletzungen kommen
- Feuerbekämpfer bringen uns weg, falls wir diese alten Emotionen doch berühren
Systemisch ist das Ganze also so organisiert, dass wir alle mehrere Verbannte haben und dass sich darum immer auch Schutzstrategien, Schutzteile entwickelt haben.
Eine entscheidende Unterscheidung: Beschützer ≠ ihre Rolle
Zum Abschluss eine ganz wichtige Unterscheidung aus dem IFS-Modell: Beschützer sind nicht gleichzusetzen mit ihrer Rolle.
Beschützer erfüllen ihre Rolle. Sie haben oft den Glaubenssatz, die Perspektive, dass sie es tun müssen. "Wenn ich dies nicht tun würde, dann würden überwältigende Emotionen und Ähnliches aufkommen."
Was wichtig zu verstehen ist:
Die meisten Beschützer machen diese Arbeit nicht gerne. Die meisten erfüllen ihre Rolle, wollen sie aber gar nicht erfüllen. Sie glauben nur, es ist notwendig. Die Alternative – wenn sie es nicht machen würden – erscheint ihnen viel schlimmer.
Das ist ein fundamentales Verständnis. Beschützer sind nicht ihre Rolle. Sie sind Teile, die in dieser Rolle feststecken, weil sie glauben, sie müssten das System schützen. Viele würden lieber etwas anderes tun, fühlen sich aber gezwungen, diese Schutzfunktion zu übernehmen.
Diese Perspektive ist wichtig, um später auch zu verstehen, wie das IFS mit diesen Beschützern arbeitet. Es geht nicht darum, die Beschützer zu bekämpfen oder loszuwerden, sondern zu verstehen, warum sie ihre Rolle einnehmen – und ihnen zu helfen, diese Last loszulassen.
Zusammenfassung
Beschützer sind Teile, die uns schützen wollen – vor äußeren Situationen und vor innerem Schmerz. Sie haben alle eine positive Intention, auch wenn ihre Strategien nicht immer hilfreich sind.
Manager arbeiten proaktiv und versuchen, unser Leben durch Kontrolle zu organisieren. Feuerbekämpfer arbeiten reaktiv und versuchen, uns durch Vermeidung von bereits aufkommenden Emotionen wegzubringen.
Systemisch sind Beschützer um Verbannte herum organisiert – sie bilden Schutzstrukturen um unsere unverarbeiteten Verletzungen.
Und das vielleicht Wichtigste: Beschützer sind nicht ihre Rolle. Sie erfüllen sie oft widerwillig, aus der Überzeugung heraus, dass es notwendig ist. Diese Erkenntnis öffnet die Tür für Heilung und Veränderung.
Quellen
- Richard Schwartz: Internal Family Systems Therapy, Second Edition
- Jay Earley: Freedom from Your Inner Critic
- Jay Earley: Self-Therapy A Step-By-Step Guide to Creating Inner Wholeness Using Ifs, a New, Cutting-Edge Therapy
- Wikipedia:Internal Family Systems Model
- APA (Definition): Internal Family Systems Therapy
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