4. Das Segel setzen: Wie du durch Erforschung, Liebe und "Purpose" dein volles Potenzial entfaltest

4. Das Segel setzen: Wie du durch Erforschung, Liebe und "Purpose" dein volles Potenzial entfaltest

(Dies ist Teil 4 unserer 4-teiligen Reihe: Mehr als nur eine Pyramide)

In dieser Artikelreihe haben wir bisher den Rumpf unseres Bedürfnis-Bootes sorgfältig gebaut. Wir haben verstanden, dass ein Fundament aus Sicherheit und Verbindung sowie eine stabile Selbstachtung uns Halt im Ozean des Lebens geben. Doch ein seetüchtiges Boot ist nicht dazu da, im Hafen zu bleiben. Es ist dazu da, Horizonte zu entdecken.

Heute hissen wir die Segel. Wir widmen uns den Wachstumsbedürfnissen – jenen Impulsen in uns, die nach mehr streben als nur nach Sicherheit. Es sind die Bedürfnisse, die unserem Leben Bedeutung, Tiefe und Richtung geben.

Der Unterschied zwischen Mangel und Wachstum

Bevor wir die Segel setzen, ist es wichtig, den Unterschied im Gefühl zu verstehen. Wenn unsere Sicherheitsbedürfnisse nicht erfüllt sind, erleben wir das als Mangel, Gefahr oder Not. Unser System schreit "Alarm!". Wenn hingegen unsere Wachstumsbedürfnisse nicht erfüllt sind, fühlt sich das anders an. Es ist weniger eine akute Not, sondern oft eine schleichende Leere oder Bedeutungslosigkeit. Es ist das Gefühl, festzustecken, obwohl objektiv vielleicht alles in Ordnung ist. Es ist die Seele, die sagt: "Da muss doch noch mehr sein."

Die Wachstumsbedürfnisse sind der in uns angelegte Drang, uns auszudrücken, zu erweitern und unsere Wahrnehmung der Welt zu vergrößern.

Wachstumsbedürfnis 1: Erforschung – Der Mut, dem Unbekannten zu begegnen

Das Fundament allen Wachstums ist die Erforschung. Es ist der natürliche Impuls in uns, Neues verstehen zu wollen und in Herausforderungen einen Sinn zu finden. Sobald wir sicher genug sind, können wir von einer defensiven Schutzhaltung in einen offenen Erforschungsmodus wechseln.

Dieser Wechsel braucht Mut, denn er ist immer ein Schritt aus dem Bekannten heraus. Erforschung ist die Basis für alles Weitere und kann viele Formen annehmen:

  • Soziale Erforschung: Einem anderen Menschen mit echter Neugier begegnen: "Wer bist du wirklich? Wie siehst du die Welt?". Anstatt Bestätigung zu suchen, erweitern wir unsere eigene Welt durch die Perspektive des anderen.
  • Abenteuerliche Erforschung: Bewusst ins Unbekannte gehen, neue Erfahrungen machen, reisen, die eigenen Ängste herausfordern und Abenteuer erleben.

Kognitive Erforschung: Die eigene innere Landkarte hinterfragen, neue Konzepte lernen und sich bewusst mit Meinungen auseinandersetzen, die den eigenen widersprechen.

Wachstumsbedürfnis 2: Liebe – Von "brauchen" zu "geben"

Das Wachstumsbedürfnis nach Liebe ist etwas anderes als das Sicherheitsbedürfnis nach Verbindung. Bei der Verbindung geht es darum, Liebe zu bekommen, um sich sicher zu fühlen. Bei der wachstumsorientierten Liebe geht es darum, eine Grundhaltung zu entwickeln, aus der heraus wir der Welt und anderen Menschen mit Wertschätzung begegnen. Es ist der Schritt von "Ich brauche Liebe" zu "Ich gebe Liebe".

Diese Haltung, die Scott Barry Kaufman als Teil der "Light Triad" beschreibt, umfasst:

  • Andere als Zweck an sich sehen: Menschen nicht nur als Mittel zur Erfüllung eigener Bedürfnisse zu betrachten, sondern ihren ureigenen Wert anzuerkennen.
  • An das Gute im Menschen glauben: Anderen mit einem Vertrauensvorschuss zu begegnen.
  • Den Wert und die Würde jedes Einzelnen schätzen.

Wichtig ist hierbei, liebevoll, aber nicht naiv zu sein. Es geht darum, diese Haltung als Ausgangspunkt zu wählen, aber gleichzeitig für sich selbst zu sorgen, Grenzen zu setzen und den eigenen Selbstschutz nicht aufzugeben.

Wachstumsbedürfnis 3: Purpose – Ein Ziel, das dich wachsen lässt

Das dritte Wachstumsbedürfnis ist das nach "Purpose" – einem übergeordneten Ziel oder Zweck, an dem wir unser Leben ausrichten können. Ohne eine solche Ausrichtung können sich selbst erfolgreiche Leben bedeutungslos anfühlen.

Wir sind zielerreichende Organismen. Bedeutung und Sinn entstehen dann, wenn wir das Gefühl haben, uns auf ein Ziel zuzubewegen, das uns wichtig ist. Die kraftvollsten Ziele sind jene, für die wir wachsen müssen, um sie zu erreichen. Sie sind größer als wir selbst und fordern uns heraus, mehr zu werden, als wir jetzt sind.

In der Forschung wird hier oft zwischen drei Arten der Arbeit unterschieden:

  1. Job: Man tut es für das Geld.
  2. Karriere: Man tut es für Geld und Aufstiegsmöglichkeiten.
  3. Calling (Berufung): Man tut es, weil es intrinsisch erfüllend ist. Man würde es sogar tun, wenn man nicht dafür bezahlt werden würde.

Ein Leben mit "Purpose" zu führen bedeutet, sein "Calling" zu finden und zu leben.

Die gesunde Persönlichkeit: Wenn Rumpf und Segel zusammenarbeiten

Was macht also eine gesunde Persönlichkeit aus? Es ist die Fähigkeit, beide Arten von Bedürfnissen zu integrieren. Es ist eine Persönlichkeit, die eine stabile Basis hat (Sicherheit) und gleichzeitig offen bleibt für Veränderung und Wachstum (Plastizität).

Der Maßstab für ein solches Leben ist nicht die Frage "Bin ich glücklich?", sondern: "Führe ich ein bewegendes, bedeutsames und sinnvolles Leben?". Es ist ein Leben voller Verantwortung, in dem Stabilität und Veränderung kein Widerspruch mehr sind, sondern Hand in Hand gehen.

Dein Bedürfnis-Boot ist nun vollständig. Deine Aufgabe ist es, den Rumpf instand zu halten und gleichzeitig mutig die Segel zu setzen – für ein Leben, das nicht nur sicher, sondern auch zutiefst erfüllt ist.