2.1: Das Echo im Kopf: Warum reines Reden Klienten im Kreis drehen lässt

Jeder Coach, Therapeut oder Körperarbeiter kennt dieses frustrierende Phänomen: Ein Klient hat sein Problem unzählige Male analysiert, er kann es genau beschreiben und hat diverse Lösungsansätze verstanden – und doch verändert sich nichts. Man redet und redet, probiert neue Strategien aus, aber das Leben dreht sich weiter im Kreis. Was, wenn das Problem nicht der mangelnde Wille des Klienten ist, sondern die Methode selbst? Was, wenn reines Reden und Analysieren Teil der Falle ist?
Um das zu verstehen, müssen wir uns die Funktionsweise unserer linken Gehirnhälfte ansehen. Sie ist oft dominant in der Art, wie wir versuchen, Probleme zu lösen, und ihre Natur führt uns unweigerlich in eine Sackgasse.
Die erste Falle: Die verengte Aufmerksamkeit
Die linke Hemisphäre ist eine Meisterin des Fokussierens. Sie richtet ihren Scheinwerfer auf ein Detail, um es zu analysieren und zu verstehen, was man damit machen kann. Diese Fähigkeit hat eine eingebaute Gefahr: Die linke Hemisphäre neigt dazu zu glauben, dass das, worauf sie sich konzentriert, das einzig Wichtige ist. Alles andere, was in der Peripherie liegt, verliert an Bedeutung.
Wenn wir also einen Klienten anleiten, sich intensiv auf "das Problem" zu konzentrieren, verstärken wir genau diesen Tunnelblick. Das große Ganze – der Kontext, die verborgenen Ressourcen, die nonverbalen Signale – rückt in den Hintergrund.

Die zweite Falle: Der positive Feedback-Loop
Die linke Hemisphäre neigt zu einem positiven Feedback-Loop. Das bedeutet: Wenn etwas geschieht, sorgt sie dafür, dass mehr davon geschieht. Sie ist darauf programmiert, das in der Welt zu sehen, was sie bereits kennt und womit sie umgehen kann. Das Sprichwort "Wenn dein einziges Werkzeug ein Hammer ist, siehst du überall Nägel" beschreibt exakt die Arbeitsweise der linken Hemisphäre.
Im Coaching ist das fatal. Wenn ein Klient mit der Überzeugung kommt "Ich bin nicht gut genug", wird die linke Hemisphäre in jeder Situation neue Beweise für diese Überzeugung finden. Jede Analyse des Problems bestätigt nur das Problem. Man dreht sich im Kreis, weil das System darauf ausgelegt ist, die eigene, bekannte Landkarte immer wieder zu bestätigen, anstatt eine neue zu entdecken.

Das wahre Ziel der linken Hemisphäre: Kontrolle, nicht Verstehen
Ein Extrembeispiel, das diese Tendenz drastisch verdeutlicht, ist der sogenannte Hemineglect, der nach einem Schlaganfall der rechten Hemisphäre auftreten kann. Betroffene, die nun auf ihre linke Hemisphäre angewiesen sind, nehmen die linke Hälfte ihrer Welt einfach nicht mehr wahr – sie existiert für sie nicht. Sie essen nur die rechte Seite ihres Tellers und sind überrascht, wenn man ihn dreht und "neues Essen" erscheint.
Noch erstaunlicher ist, dass sie diese Einschränkung oft vehement leugnen. Ein Patient, der seinen linken Arm nicht bewegen kann, wird behaupten, er habe ihn bewegt, oder erfindet wütend Ausreden, warum er es gerade nicht tun will. Sein Gehirn kann die neue Realität nicht in seine bestehende Weltkarte integrieren.
Das zeigt: Der Job der linken Hemisphäre ist nicht primär das Verstehen der Realität, sondern die Kontrolle basierend auf dem, was sie bereits weiß.
Für uns als Coaches bedeutet das: Viele Klienten stecken fest, weil sie versuchen, ein Problem mit dem Teil des Gehirns zu lösen, der von Natur aus darauf programmiert ist, an alten Mustern festzuhalten. Mehr vom Gleichen – mehr Reden, mehr Analysieren – kann hier nicht die Lösung sein. Es ist, als würde man versuchen, mit einem Hammer eine Schraube einzudrehen. Wir brauchen ein anderes Werkzeug.
Quellen
- Iain McGilchrist: The Master and His Emissary
- Iain McGilchrist (Buch):The Matter With Things
- Schore: Affect Regulation and the Origin of the Self (APA) | Buch (1994)
- Schore/Schore: Modern Attachment Theory & Affect Regulation | Studie (2007)
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