5. Glossar Lernpsychologie

5. Glossar Lernpsychologie

Adaptivität (Der wahre „Lernstil“)

Der einzige Faktor, der wirklich verändert, wie Menschen lernen.
Adaptivität beschreibt die Notwendigkeit, das Maß der Unterstützung und Struktur (Anleitung) kontinuierlich an den Grad der Expertise und das bereits vorhandene Wissen des Lernenden anzupassen.


Arbeitsgedächtnis (AG) / Werkbank

Der Ort, an dem neues Wissen aktiv verarbeitet, verknüpft und verglichen wird.
Es ist extrem begrenzt und kann bei Anfängern nur etwa zwei bis drei neue, unbekannte Elemente gleichzeitig verarbeiten.
Das Langzeitgedächtnis ist der „Rückstand“ dessen, was im Arbeitsgedächtnis intensiv durchdacht wurde.


Aufmerksamkeit (Scheinwerfer)

Das Werkzeug, das steuert, welche Informationen im begrenzten Arbeitsgedächtnis landen.
Die Aufgabe des Lehrenden ist es, diesen mentalen Scheinwerfer präzise auf das Wesentliche zu lenken und von Ablenkungen wegzuführen.


Chunks (Informationsblöcke)

Bedeutungsvolle Strukturen oder Informationsblöcke, die Experten erkennen.
Ein Schachmeister sieht beispielsweise nicht einzelne Figuren, sondern „Chunks“ wie „die Sizilianische Verteidigung“.


Cognitive Load Theory (Theorie der kognitiven Belastung)

Eine Theorie, die Lehrende auffordert, die mentale Belastung (Cognitive Load) der Lernenden gezielt zu gestalten – weder zu leicht noch zu schwer –, damit das Arbeitsgedächtnis effektiv arbeiten kann.


Deklaratives Wissen (Was)

Das Wissen, Dinge zu erkennen und zu benennen.
Zum Beispiel zu wissen: „Das ist die Sizilianische Verteidigung“ oder Konzepte identifizieren zu können.


Dual Coding

Ein Lernprinzip, das besagt, dass wir besser lernen, wenn beide Verarbeitungskanäle des Arbeitsgedächtnisses – visuell und auditiv – gleichzeitig aktiviert werden.
Die effektivste Methode ist: einfach visuell + gesprochen erklärt.


Episodisches Wissen (Vergangene Erfahrungen)

Eine im Schema gespeicherte Bibliothek konkreter Beispiele und vergangener Erfahrungen.


Expert Blindness (Expertenblindheit)

Ein Phänomen, bei dem Experten vergessen, wie es war, Anfänger zu sein.
Sie unterschätzen dadurch massiv die Anzahl der Zwischenschritte, die ein Anfänger benötigt, und überfordern ihre Schüler unbemerkt.


Expertise

Kein angeborenes Genie, sondern das Ergebnis des Aufbaus eines riesigen, hochorganisierten Netzwerks von Wissen (Schemata) im Langzeitgedächtnis.


Expertise-Reversal-Effekt

Das Prinzip, dass Unterrichtsmethoden, die Anfängern helfen (z. B. klare Struktur, gelöste Beispiele), fortgeschrittenen Lernern schaden oder sie bremsen können.


Fading (Ausblenden)

Der Prozess, bei dem die externe Anleitung oder Struktur (z. B. gelöste Beispiele) bewusst reduziert oder „ausgeblendet“ wird, sobald Lernende fortschreiten.
Dies ist notwendig, damit sie beginnen, ihre eigenen mentalen Strukturen zu aktivieren.


Gelöste Beispiele (Worked Examples)

Eine Lehrmethode, bei der Schritt für Schritt gezeigt wird, wie ein Problem gelöst wird.
Sie reduziert die kognitive Belastung für Anfänger radikal, da diese sich auf das Verstehen der Struktur konzentrieren können, anstatt gleichzeitig nach ihr suchen zu müssen.


Genie-Mythos

Die falsche, „magische“ Erklärung für hohe Expertise, die von angeborenem Talent oder „Begabung“ ausgeht, statt die dahinterliegende gewaltige Menge Arbeit und den Aufbau von Wissen zu sehen.


Generatives Lernen

Das Prinzip, dass Wissen nicht durch passives Zuhören, sondern durch aktives Denken gespeichert wird.
Lernende müssen Informationen selbst verarbeiten, abrufen oder in eigenen Worten zusammenfassen.


Gestaffeltes Abrufen (Spaced Retrieval Practice)

Eine Methode zur Stärkung des Langzeitgedächtnisses, bei der Wissen nicht am Stück, sondern durch zeitlich verteilte Wiederabrufe (z. B. kleine Quizze) geübt wird.
Diese anstrengende Abrufarbeit stärkt die neuronalen Verbindungen.


Kognitive Belastung / Kognitive Überlastung

Die mentale Anstrengung, die im Arbeitsgedächtnis stattfindet.
Bei Anfängern kommt es schnell zur Überlastung, wenn zu viele neue Informationen gleichzeitig präsentiert werden oder wenn sie bei ungeordneten Informationen gleichzeitig die Struktur verstehen, filtern und eine Lösung finden müssen.


Konditionales Wissen (Wann und warum)

Das strategische Wissen innerhalb eines Schemas, das angibt, wann eine Strategie passt und warum sie in einem bestimmten Kontext funktioniert.


Langzeitgedächtnis (LZG) / Bibliothek

Die riesige, nahezu unbegrenzte Bibliothek, in der unser gesamtes Wissen – Fakten, Fähigkeiten, Überzeugungen, Erinnerungen – gespeichert ist.
Alles Lernen ist die Erweiterung des Langzeitgedächtnisses.


Leistungsfähiges Wissen

Das Ziel von gutem Unterricht: Wissen, das dauerhaft (es bleibt erhalten), tief (gut organisiert) und zugänglich (in der Praxis anwendbar) ist.


Lernstile (Theorie der)

Eine widerlegte Theorie und ein Mythos, der besagt, dass Menschen unterschiedliche Lerntypen (z. B. visuell, auditiv, kinästhetisch) hätten und der Unterricht daran angepasst werden müsse.
Empirische Studien zeigten keinen messbaren Unterschied in den Lernergebnissen.


Mentale Architektur

Die grundlegend verschiedene mentale Struktur, mit der Experten unterschiedlicher Disziplinen arbeiten – z. B. die Schemata eines klassischen Musikers vs. die eines Jazzmusikers.


Mentale Landkarte

Eine Metapher für das Langzeitgedächtnis – die innere Karte, mit der wir die Welt interpretieren und navigieren.


Prozedurales Wissen (Wie)

Wissen in Aktion – die Fähigkeit, Handlungen auszuführen und Fähigkeiten anzuwenden.
Zum Beispiel nicht nur zu wissen, was die Sizilianische Verteidigung ist, sondern auch, wie sie gespielt wird.


Scaffolding (Gerüst)

Ein stützendes Gerüst (z. B. Hilfestellungen, Teilschritte), das Lehrende anbieten, um die kognitive Belastung zu dosieren.
Dieses Gerüst wird schrittweise wieder abgebaut, sobald die Lernenden sicherer werden.


Schemata / Mentale Repräsentationen

Komprimierte Informationspakete oder mentale Strukturen im Langzeitgedächtnis, die unser gesamtes Wissen über ein Konzept organisieren.
Sie erlauben Experten, blitzschnell und präzise zu handeln.
Sie verbinden deklaratives, prozedurales, konditionales und episodisches Wissen.


Wahrnehmungskategorien

Strukturen, die es Experten (im Gegensatz zu Anfängern) ermöglichen, Muster sofort zu erkennen und Informationen automatisch in bedeutungsvolle Einheiten zu strukturieren.


Wissensarchitekt

Die Rolle des Lehrenden, die über die reine Informationsvermittlung hinausgeht.
Ein Wissensarchitekt gestaltet Lernreisen und wendet kognitionswissenschaftliche Prinzipien an, um Lernenden beim Aufbau leistungsfähiger Schemata zu helfen.

Quellen