2. Die verborgene Macht des Nervensystems- Warum wir im Drama gefangen bleiben

2. Die verborgene Macht des Nervensystems- Warum wir im Drama gefangen bleiben

_(Dies ist Teil 2 unserer 4-teiligen Reihe: Vom unbewussten Drama zur bewussten Gestaltung)

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Im ersten Teil dieser Reihe haben wir uns das Drama-Dreieck angesehen – die unbewussten Rollen von Opfer, Retter und Verfolger, in die wir in unseren Beziehungen immer wieder schlüpfen. Du hast vielleicht erkannt, wie diese Dynamiken auch in deinem Leben ablaufen und wie schwer es sein kann, aus diesem Kreislauf auszubrechen.

Aber warum ist das so? Warum ist es so schwer, aus diesen Rollen auszusteigen, selbst wenn wir sie erkennen? Die Antwort liegt tiefer als in reiner Psychologie. Sie liegt in unserer Biologie. In diesem Artikel tauchen wir in die faszinierende Welt der Polyvagal-Theorie ein und entdecken, wie unser Nervensystem die Fäden hinter dem Drama-Dreieck zieht.

Mehr als nur "Stress": Dein Nervensystem hat drei Programme

Lange wurde uns in der Schule gelehrt, wir hätten zwei Stränge unseres Nervensystems: das sympathische (für Aktivierung) und das parasympathische (für Entspannung). Doch Stephen Porges, der Entwickler der Polyvagal-Theorie, hat entdeckt, dass es in Wahrheit drei sind. Jeder dieser Stränge ist ein evolutionär angelegtes Überlebensprogramm, das in uns startet, je nachdem, wie unser System die Welt unbewusst wahrnimmt.

Needs Nervensystem
1. Das Social Engagement System (Der Zustand der Sicherheit)

Dies ist das jüngste und höchstentwickelte System in uns. Es wird aktiv, wenn unser Nervensystem signalisiert: "Hey, wir sind gerade relativ sicher." In diesem Zustand können wir uns mit anderen verbinden, in Kontakt gehen, spielen, kooperieren und Intimität erleben. Es ist der Zustand, aus dem heraus gesunde, erwachsene Beziehungen auf Augenhöhe stattfinden.

2. Kampf oder Flucht (Der Zustand der Gefahr)

Wenn unser System Gefahr wittert, schaltet es in den sympathischen Modus: Kampf oder Flucht. Die Energie, die dabei freigesetzt wird, ist enorm. Bei uns Menschen zeigt sich dieser Modus oft etwas anders als bei Tieren:

  • Kampf wird zu argumentativem Verhalten: "Du bist schuld!", "Das stimmt nicht!", "Dagegen müssen wir etwas tun!"
  • Flucht wird zum Versuch, Situationen oder unangenehme Gefühle zu vermeiden: Dinge schnell erledigen, um den Konflikt zu beenden, sich ablenken oder sich in Aktivität stürzen.
3. Freeze oder Kollaps (Der Zustand der Lebensgefahr)

Dies ist unser ältestes Überlebensprogramm. Es wird aktiviert, wenn eine Situation so überwältigend erscheint, dass Kampf oder Flucht sinnlos wirken. Wenn das System sagt: "Ich kann nicht mehr kämpfen, ich kann nicht mehr fliehen", dann bleibt nur noch der Kollaps. Wir dissoziieren, fühlen uns taub, energielos und geben innerlich auf. Es ist ein Schutzmechanismus, der uns vor unerträglichem Schmerz bewahren soll.

Drama Dreieck Info

Die direkte Verbindung: Das Drama-Dreieck ist der soziale Ausdruck deines Nervensystems

Jetzt wird es spannend. Wenn wir diese drei Zustände des Nervensystems betrachten, sehen wir eine unglaublich große Übereinstimmung mit den drei Rollen des Drama-Dreiecks. Man könnte sagen: Die Drama-Rollen sind der natürliche Ausdruck der Überlebensenergie unseres Nervensystems in sozialen Interaktionen.

  • Kampf-Energie = Die Täter-/Verfolgerrolle Wenn dein Nervensystem im Kampfmodus ist, ist die Energie nach außen gerichtet. Du willst die Situation kontrollieren und verändern. Sätze wie "Du bist schuld", "Das musst du ändern" und "Wegen dir…" sind der direkte Ausdruck dieser nach vorne gehenden Kampf-Energie. Die Verfolgerrolle ist der perfekte soziale Kanal für diesen Zustand.
  • Flucht-Energie = Die Retterrolle Flucht bedeutet, von etwas wegzukommen – sei es eine gefährliche Situation oder, noch häufiger, ein unangenehmes inneres Gefühl. Die Retterrolle ist eine brillante Strategie, um dieser inneren Erfahrung zu entkommen. Indem du dich darauf fokussierst, andere zu retten, ihre Probleme zu lösen und dich um alles zu kümmern ("Ich kann dir helfen", "Komm, lass mich das machen"), lenkst du die Fluchtenergie in eine nach außen gerichtete, sozial akzeptierte Aktivität. Du musst dich nicht mit deiner eigenen Hilflosigkeit auseinandersetzen, solange du damit beschäftigt bist, andere zu retten.
  • Kollaps-/Freeze-Energie = Die Opferrolle Wenn dein Nervensystem kollabiert ist, fühlt sich alles sinnlos an. Du hast keine Energie, bist hoffnungslos und überzeugt, nichts verändern zu können. Die inneren Sätze des Opfers – "Ich kann sowieso nichts machen", "Es bringt ja doch nichts", "Ich bin zu schwach" – sind der exakte Ausdruck eines Systems im Freeze. Die Opferrolle ist die soziale Manifestation des Aufgebens.
IFS Neuroception 2

Warum das alles unbewusst passiert: Deine "Neuroception"

Ein Schlüsselwort der Polyvagal-Theorie ist "Neuroception" – die unbewusste Wahrnehmung der Welt durch dein Nervensystem. Lange bevor dein Verstand eine Situation analysiert, hat dein Körper sie bereits gescannt und in eine von drei Kategorien eingeordnet: sicher, gefährlich oder lebensbedrohlich.

Und dieser Scan achtet nicht nur auf Säbelzahntiger. Für uns soziale Wesen sind die wichtigsten Fragen:

  • Bin ich sicher? (Körperlich, aber auch emotional in meinen Beziehungen)
  • Bin ich verbunden? (Gehöre ich dazu? Habe ich bedeutsame Beziehungen?)
  • Bin ich wichtig? (Habe ich einen Platz? Werde ich gesehen?)

Wenn die Antwort auf eine dieser Fragen unbewusst "Nein" lautet, schaltet dein System in den Überlebensmodus – und du findest dich plötzlich in einer der Drama-Rollen wieder, ohne bewusst entschieden zu haben, dorthin zu gehen.

Das erklärt, warum es so schwer ist, aus dem Drama auszusteigen. Es ist kein reiner Willensakt. Du kämpfst gegen ein Jahrmillionen altes biologisches Programm, das glaubt, gerade dein Überleben zu sichern.

Jetzt, wo wir wissen, was das Drama-Dreieck ist (Artikel 1) und warum es von unserem Nervensystem angetrieben wird (Artikel 2), können wir uns im nächsten Schritt der entscheidenden Frage zuwenden: Wie kommen wir da wieder raus?

Im nächsten Artikel zeige ich dir den konkreten Fahrplan aus dem Drama-Dreieck. Wir werden entdecken, wie wir aus den Überlebensrollen aussteigen und die positiven Alternativen entwickeln können, um wieder auf Augenhöhe und als ganzer Mensch in Beziehung zu treten.

Quellen