4.1: Die Maschinen-Täuschung: Warum wir aufhören müssen, den Körper zu "reparieren"
In unserem westlichen Denken liegt eine Philosophie so tief verankert, dass wir sie kaum noch als solche erkennen: die Metapher, dass der menschliche Körper eine Maschine ist.
Dieses Modell hat uns zweifellos zu unglaublich tiefen Erkenntnissen verholfen. Indem wir den Körper wie eine Maschine immer weiter auseinandergenommen haben, entwickelten wir ein detailliertes Bild der Anatomie. Die Unfallmedizin ist ein perfektes Beispiel für den Erfolg dieser Sichtweise; wir können Verletzungen heute auf eine Art behandeln wie keine Kultur vor uns.
Dieser analytische Blick, der alles in seine Einzelteile zerlegt, ist eine Domäne unserer linken Gehirnhälfte. Doch was, wenn dieses Modell im Kern falsch ist? Was, wenn diese Metapher uns davon abhält, Menschen ganzheitlich zu helfen?

Die Denkfehler der Maschinen-Metapher
Das Problem beginnt, wenn wir die Metapher für die Realität halten. Eine Maschine hat einen An-/Aus-Knopf. Man baut sie, schaltet sie an, schaltet sie aus und irgendwann wieder an. Ein Körper funktioniert so nicht. Jede Form von "Ausmachen", und sei sie noch so klein, würde in den meisten Fällen den Tod bedeuten.
Der problematischste Denkfehler zeigt sich jedoch in unserem Verständnis von Krankheit. Bei einer Maschine ist die Logik klar: Wenn sie nicht mehr funktioniert, muss irgendwo ein Fehler sein. Man muss diesen Defekt finden, ihn reparieren, und dann sollte die Maschine wieder laufen.
Genau diese Logik übertragen wir auf den Körper. Wir behandeln Krankheit wie einen Defekt.
- Bei einer bakteriellen Infektion suchen wir den spezifischen Erreger, um ihn mit dem passenden Antibiotikum zu eliminieren – wir finden den Fehler und reparieren ihn.
- In der Naturheilkunde wird oft nicht einfach Kurkuma empfohlen, sondern das isolierte Curcumin – der eine Wirkstoff, der den Fehler gezielt behebt.
Wir sind unglaublich darauf fokussiert herauszufinden: Was genau ist kaputt gegangen und wie können wir genau das behandeln?

Der Druck auf uns als Behandler
Diese mechanistische Brille erzeugt einen enormen Druck in unserer Arbeit als Coaches, Therapeuten und Körperarbeiter. Wir schauen durch die gleiche Brille und wollen das Problem finden und lösen. Unsere Klienten erwarten das von uns, und wir erwarten es von uns selbst: Finde den Fehler, damit die Maschine wieder funktioniert.
Doch diese Sichtweise ist viel zu eingeschränkt. Unsere unbewusste Annahme, der Körper sei eine reparierbare Maschine, limitiert unser Verständnis von Gesundheit und führt zu einem Behandlungsansatz, der der Komplexität des Lebens oft nicht gerecht wird. Was aber, wenn diese ganze Sicht auf Probleme und Krankheit nicht stimmt – vielleicht nicht mal ein bisschen?
Quellen
- Iain McGilchrist: The Master and His Emissary
- Iain McGilchrist (Buch):The Matter With Things
- Schore: Affect Regulation and the Origin of the Self (APA) | Buch (1994)
- Schore/Schore: Modern Attachment Theory & Affect Regulation | Studie (2007)
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