7. Die 8 Cs der Selbst-Energie: Die natürlichen Qualitäten des Selbst

7. Die 8 Cs der Selbst-Energie: Die natürlichen Qualitäten des Selbst

Im siebten Teil dieser Einführung in die Internal Family Systems Theorie beleuchten wir das Selbst und die Selbst-Energie noch einmal genauer. Wir wollen erforschen: Was ist das Selbst? Was ist die Selbst-Energie? Und was sind die Qualitäten der Selbst-Energie?

Aufbauend auf dem letzten Artikel

Dafür bauen wir auf dem letzten Artikel auf, in dem ich die Begriffe unterschieden habe:

  • Das Selbst: Unser Wesen, unser spirituelles Wesen, der Sitz des Bewusstseins
  • Die Selbst-Energie: Die Haltungen und Gefühle, die mit dem Selbst, mit diesem Wesen, natürlich einhergehen

Die zentrale Frage

In diesem Artikel möchte ich erforschen:

  • Das Selbst ist das Wesen mit den natürlichen Qualitäten der Präsenz, den sogenannten 8 Cs
  • Die Selbst-Energie sind die Haltungen und Gefühle, die wir Menschen, Tieren, Teilen und der Natur entgegenbringen

Die Frage ist: Was sind denn diese Qualitäten, Haltungen und Gefühle?

Die 8 Cs: Natürliche Qualitäten des Selbst

In der IFS-Theorie werden die Qualitäten und die Haltungen/Gefühle des Selbst, der Selbst-Energie, häufig über die 8 Cs vermittelt.

Was bedeutet 8 Cs?

Die 8 Cs stehen für die unterschiedlichen Qualitäten und Gefühle, die bei Menschen natürlich auftreten, wenn sie mit ihrem Selbst verbunden sind – wenn sie im Selbst sind.

Es hat sich gezeigt, dass diese Eigenarten, Eigenschaften, im Englischen alle mit C beginnen:

  • Curiosity (Neugier)
  • Clarity (Klarheit)
  • Compassion (Mitgefühl)
  • Connectedness (Verbundenheit)
  • Confidence (Selbstvertrauen)
  • Courage (Mut)
  • Creativity (Kreativität)
  • Calm (Ruhe)

Im Deutschen ist es leider nicht so wunderschön übersetzbar, dass sie alle mit C oder mit einem anderen Buchstaben beginnen. Aber auch im Deutschen werden sie die 8 Cs genannt.

Die Kräfte der Präsenz

Auf einer Ebene kann man sagen: Diese 8 Cs beschreiben die Kräfte der Präsenz und unsere tiefsten Ressourcen, die wir haben, wenn wir mit unserem Selbst, unserem spirituellen Kern, verbunden sind.

Sie sind quasi die Kräfte, die ganz natürlich sind, wenn wir damit im Kontakt sind:

  • Wir sind neugierig (curious)
  • Wir sind mutig (courage)

Das ist der natürliche Zustand, wenn wir mit dem Selbst im Kontakt sind.

Die drei Körperzentren: Eine hilfreiche Landkarte

Um diese 8 Cs zu präsentieren, möchte ich eine Darstellung nutzen, die ein ehemaliger Teilnehmer eines Kurses inspiriert hat. Er hat diese 8 Cs – die häufig einfach als Liste vermittelt werden – auf drei Körperzentren gemappt.

Das Konzept der drei Zentren

Die drei Körperzentren kommen aus unterschiedlichen spirituellen und auch psychotherapeutischen Schulen, in denen davon ausgegangen wird, dass wir drei Zentren haben:

  1. Bauchzentrum
  2. Herzzentrum
  3. Kopfzentrum

Das Kopfzentrum nicht als "Ich bin im Kopf, ich bin in Gedanken", sondern als eine energetische Qualität.

Gesammelt sein in den Zentren

Wir können in jedem Moment in diesen drei Zentren sein oder gesammelt sein. Das heißt, mit unserer Präsenz, unserer Achtsamkeit, in diesen Zentren sein können:

  • Es kann eher tiefer geerdet im Bauchzentrum sein
  • Es kann eher verbunden im Herzzentrum sein
  • Es kann eher mit einer Klarheit im Kopfzentrum einhergehen

Die Verbindung zu den 8 Cs

Was spannend ist und was diesem Teilnehmer aufgefallen ist: Die Art und Weise, wie diese Traditionen die Zentren beschreiben – und die Qualitäten, Gefühle und Eigenschaften, die einhergehen, wenn wir in diesen Zentren gesammelt sind – diese Qualitäten sind den unterschiedlichen 8 Cs sehr ähnlich.

Deswegen möchte ich diese 8 Cs Stück für Stück über die einzelnen Zentren vorstellen.

Die grundlegende Qualität: Ruhe (Calm)

Ich beginne dabei mit der einen Qualität, die nicht einem Zentrum zuzuordnen ist, sondern eher ein Gesamtzustand ist: Ruhe (Calm).

Die Erfahrung von Ruhe im Selbst

Eine der Beschreibungen – und nicht immer exakt dieses Wort, aber eine der Beschreibungen – die viele Menschen äußern, wenn sie mit dem Selbst im Kontakt sind, wenn sie im Selbst sind, ist: Es ist dort ruhig. Sie sind ruhig.

Der Kontrast zu unserem Alltag

In unserem Alltag, in unseren Sessions, in besonders den Problembereichen unseres Lebens ist oft so viel in uns los:

  • Da sind Stimmen, die miteinander argumentieren
  • Da ist eine Vigilanz und Aufmerksamkeit, dass wir auch alles richtig machen
  • Da ist der Anspruch an uns, dass wir immer mehr und mehr und mehr leisten und tun müssen

Im Selbst ist es anders

Im Selbst ist das nicht so:

  • Da ist etwas still
  • Da sind die Dinge, wie sie sind
  • Und wir können gleichmütig – das heißt erst einmal offen und so, wie sie halt sind – mit ihnen im Kontakt sein

Es gibt oft einen ganz großen Unterschied zwischen:

  • Der Aktivität unserer Teile, die versuchen, Dinge zu erreichen
  • Und dem Sein, der Ruhe, die mit dem Selbst einhergeht

Deswegen ist auch in dieser Darstellung die Ruhe eher ein Gesamtzustand – ein Gesamtzustand, wenn wir im Selbst oder mit dem Selbst verbunden sind.

Das Kopfzentrum: Klarheit und Offenheit

Im nächsten Schritt möchte ich dann die Qualitäten erläutern, die Teile der 8 Cs sind, die man eher dem Kopfzentrum, diesem Bereich, zuordnen kann. Das sind:

  1. Interesse (Curiosity)
  2. Klarheit (Clarity)
  3. Kreativität (Creativity)

1. Interesse (Curiosity): Offene Neugier

Wenn wir im Selbst sind, dann ist ein ganz natürlicher Zustand, dass wir unseren Anteilen, den Stimmen in uns, den Gefühlen in uns, anderen Menschen, Tieren, der Welt gegenüber interessiert sind. Interesse haben.

Das heißt, dass wir Dingen erstmal offen gegenüberstehen:

  • "Das, was geschieht – ich kann damit sein"
  • "Ich bin erst einmal offen dafür, was da ist"
  • "Ich habe im ersten Moment keine Agenda"
  • "Ich glaube nicht, es muss so oder so oder so sein"
  • "Sondern ich möchte erstmal herausfinden: Wie ist es denn?"
  • "Ich möchte es verstehen"

Sicherheit für Teile

Und in dem Fühlen sich Teile häufig sehr sicher, sich selbst zu zeigen. Denn wenn ich Interesse habe, wenn ich interessiert bin, dann geht es nicht darum:

  • Dass ich einen Teil loswerden will
  • Dass ich ihn verändern will
  • Dass ich etwas anders machen will

Sondern: Ich will erstmal herausfinden, wie es denn ist.

2. Klarheit (Clarity): Klares Sehen

Mit diesem Interesse geht oft eine zweite Qualität einher, die Klarheit genannt werden kann.

Denn wenn ich wirklich offen und interessiert bin, dann stellt sich oft eine Klarheit ein – ein klares Sehen und Wissen:

  • Dinge sind so, wie sie sind
  • Da, wo Teile sofort versuchen würden, Dinge zu verändern oder zu reagieren, nimmt das Selbst erstmal wahr

Nicht-reaktives Wissen

Und mit dieser Wahrnehmung entsteht oft eine ganz tiefe Klarheit, ein ganz tiefes Wissen. Auch ein nicht-reaktives Wissen, wo ich nicht sofort versuche:

  • Etwas zu verändern
  • Etwas auf eine bestimmte Art und Weise sein zu lassen

Sondern es erstmal so nehme, wie es ist – klar, einfach und in Kontakt mit der Realität.

"In Anführungszeichen" – weil es nicht darum geht, dass es eine Realität oder eine Wahrheit gibt, sondern darum, dass ich mit dem in Kontakt sein kann, wie es für mich oder wie es allgemeiner ist:

  • "Das ist nicht gut. Das tut mir gerade nicht gut. Punkt."

Darin kann ich klar sein. Dann kann ich auch schauen, ob ich etwas daran verändern will. Aber im ersten Moment kann ich erstmal wahrnehmen: "Das tut mir nicht gut."

3. Kreativität (Creativity): Neue Lösungen

Die dritte Qualität ist Kreativität.

Kreativität heißt in diesem Zusammenhang: Wir können von diesem Sein, diesem Selbst aus, mit Herausforderungen, mit Problemen ganz anders umgehen.

Jenseits alter Muster

Wir sind nicht gefangen in den gleichen Strategien, die wir schon hunderte, tausende, zehntausende Male versucht haben – was häufig genau das ist, was Teile, indem sie ein bisschen eindimensional sind, tun.

Sondern:

  • Wir können unkonventionell daran gehen
  • Wir haben neue Impulse, neue Perspektiven, die ganz automatisch aufkommen
  • Und so Probleme lösen und Probleme ganz anders betrachten können, als wir es bisher getan haben

Das wären die Eigenschaften, die mit dem Kopfzentrum einhergehen: Interesse, Klarheit und Kreativität.

Das Herzzentrum: Verbindung und Mitgefühl

Im zweiten Schritt möchte ich mich dann dem Herzzentrum zuwenden und den Qualitäten, die mehr aus diesem Bereich kommen oder die mehr diesem Bereich zugeordnet werden können.

Ich glaube, bei den 8 Cs sind das vor allen Dingen:

  1. Verbundenheit (Connectedness)
  2. Mitgefühl (Compassion)

1. Mitgefühl (Compassion): Mitfühlen, nicht Mitleid

Vom Selbst aus ist es ganz natürlich, Mitgefühl zu haben.

Und Mitgefühl nicht als:

  • Mitleid
  • Als "Ich muss ganz tief in alles reinspringen, was in dir geschieht"

Sondern ein Mitfühlen zu haben:

  • "Ich fühle mit dir"
  • "Ich kriege mit, wie es bei dir ist"
  • "Ich kriege dich mit – inklusive dem, was gerade für dich leicht, schwer, herausfordernd und so weiter ist"

Das tut mir leid

Und wenn ich mitkriege, dass Dinge schwierig für dich oder Teile von mir sind, dann ist mein ganz natürlicher Impuls zu sagen:

  • "Das tut mir leid"
  • "Das berührt mich"

Und "es tut mir leid" nicht im Sinne von "Oh Gott, das tut mir leid", sondern im Sinne von:

  • "Ich krieg mit, das ist schmerzhaft"
  • "Und das macht bei mir was"

Der Impuls zu helfen

Wenn ich dich mitkriege, wenn ich einen Teil mitkriege, mitfühle – dass du mir leid tust – dann ist ein ganz natürlicher Schritt, der auch mit diesem Mitgefühl einhergeht, ein Impuls zu helfen.

Auch da wieder nicht in einem Retter- oder Helfer-Dilemma, sondern:

  • "Wenn ich kann, würde ich dich gerne unterstützen"
  • Und wenn das nur ist: "Ich hör dir zu"
  • "Ich kriege den Teil mit"
  • "Ich kriege mit: Wow, das ist viel. Wie kann ich dich unterstützen?"

Das wäre das ganz natürliche Mitgefühl, das vom Selbst aus kommt:

  1. Ein Wahrnehmen (da sind wir auch wieder bei offen, neugierig)
  2. Davon berührt werden
  3. Und daraus ein Impuls haben zu helfen

Und das ist etwas, was das Selbst auch ganz natürlich den eigenen Anteilen gegenüber hat – diese Impulse. Und das ist ein ganz wichtiger Teil auch der Heilungs- und Veränderungsschritte in IFS.

2. Verbundenheit (Connectedness): Der natürliche Zustand

Nah damit verwandt ist auch die Verbundenheit.

Vom Selbst aus ist Verbundenheit, verbunden sein, der natürliche Zustand:

  • "Wenn ich bin, dann bin ich mit mir verbunden"
  • "Dann bin ich mit dir verbunden"
  • "Dann bin ich mit der Welt verbunden"

Das ist da, ganz natürlich:

  • Da muss ich nichts für leisten
  • Da muss ich nicht hart arbeiten
  • Da muss ich mich nicht anders machen, als ich bin

Verbunden sein ist der natürliche Zustand.

Die gegenseitige Beeinflussung

Und aus diesem natürlichen Zustand entsteht auch das Mitgefühl. Die beiden Seiten beeinträchtigen sich gegenseitig – oder besser gesagt: beeinflussen sich gegenseitig.

Das sind die 8-C-Qualitäten, die man eher dem Herzzentrum zuordnen kann: Verbundenheit und Mitgefühl.

Das Bauchzentrum: Kraft und Mut

Und damit kommen wir dann zum letzten Teil der 8 Cs – dem Bauchzentrum und den Qualitäten:

  1. Selbstvertrauen (Confidence)
  2. Mut (Courage)

Das Selbst ist nicht passiv

Denn das Selbst – auch so, wie es im IFS verstanden wird – ist nicht ein passiver Beobachter.

Das Selbst ist nicht nur ein mitfühlender, verständnisvoller Beobachter. Zumindest nicht nur.

Das Selbst hat aus sich heraus auch Impulse zu handeln, zu tun und Dinge zu verändern.

Die Qualitäten des Bauchzentrums

Und dafür gibt es auch zwei ganz klare Qualitäten, die in meiner Erfahrung – und auch eben in diesen spirituellen Traditionen – dem Bauchzentrum zuzuordnen sind.

1. Selbstvertrauen (Confidence): Ich bin fähig

Nämlich Selbstvertrauen – das Gefühl und das Wissen, dass ich fähig bin:

  • "Wenn ich mit mir, meinem Selbst verbunden bin, dann habe ich Fähigkeiten"
  • "Ich kann Dinge tun"
  • "Ich habe ganz natürlich die Möglichkeit, Dinge zu erreichen"
  • "Mein Leben zu verändern"
  • "Menschen zu unterstützen"
  • Und so weiter

Das heißt: "Ich bin fähig." Es ist an diesem Punkt gar keine Frage.

Vertrauen ins Größere

Und es ist auch für alle Teile in meinem System – wenn sie mit mir, mit dem Selbst und mit einem verkörperten Selbst in Kontakt sind – keine Frage, ob ich Dinge tun kann.

Mit diesem Selbstvertrauen geht auch ein Vertrauen einher:

  • Dass ich Dinge kann
  • Aber auch, dass es an Punkten, die über mich hinausgehen, die ich nicht kontrollieren kann, die ich nicht beeinflussen kann – dass es etwas Größeres gibt, auf das ich auch vertrauen kann

Denn aus der Verbundenheit (connectedness), aus dem Selbst, bin ich mit diesem Größeren verbunden.

Das heißt: Wenn wir mit unserem Selbst, unserem Kern, in Kontakt sind – und ihn auch verkörpern können – dann ist eine Form von Selbstvertrauen, ein Vertrauen auf mich und meine Fähigkeiten, ein ganz natürlicher Zustand, der damit einhergeht.

2. Mut (Courage): Die Kraft zu handeln

Mit Selbstvertrauen geht auch Mut einher.

Mut als eine Kraft und Stärke:

  • Dinge zu tun
  • Dinge anzugehen
  • Dinge zu verändern
  • Für uns und andere einzustehen

Zu wissen: "Ich kann Dinge verändern. Und ich habe den Impuls, den Mut, die Kraft, das zu tun."

Probleme konfrontieren

Und so auch Probleme in meinem Leben, in der Welt, zu konfrontieren – auf diese zuzugehen und mit einer Kraft und dem Wissen, dass ich etwas daran verändern kann, auch diese Schritte zu gehen.

Das heißt: Das Selbst hat Qualitäten von:

  • Annahme
  • Offenheit
  • Neugierde
  • Interesse

All diese Qualitäten.

Aber es hat auch:

  • Die Kraft
  • Das Selbstvertrauen
  • Die Stärke, um Dinge zu verändern

Zusammenfassung: Die natürlichen Ressourcen

Dies sind die natürlichen Ressourcen. Das sind die Kräfte, die in uns präsent sind, wenn wir mit diesem Kern, mit diesem Wesen in uns, verbunden sind.

Die 8 Cs im Überblick:

Grundlegend:

  • Ruhe (Calm) – ein Gesamtzustand

Kopfzentrum:

  • Interesse/Neugier (Curiosity) – Offenheit für das, was ist
  • Klarheit (Clarity) – Klares, nicht-reaktives Sehen
  • Kreativität (Creativity) – Neue Lösungen jenseits alter Muster

Herzzentrum:

  • Verbundenheit (Connectedness) – Der natürliche Zustand des Verbundenseins
  • Mitgefühl (Compassion) – Mitfühlen und der Impuls zu helfen

Bauchzentrum:

  • Selbstvertrauen (Confidence) – Das Wissen um die eigene Fähigkeit
  • Mut (Courage) – Die Kraft, zu handeln und zu verändern

Die Bedeutung für die Praxis

Diese 8 Cs sind nicht etwas, das wir mühsam entwickeln müssen. Sie sind bereits da – natürliche Qualitäten, die auftauchen, wenn wir mit dem Selbst verbunden sind.

Die therapeutische Arbeit besteht also nicht darin, diese Qualitäten zu lernen oder zu trainieren, sondern die Teile, die sie verdecken, zur Seite treten zu lassen – damit das Selbst mit all seinen natürlichen Ressourcen zum Vorschein kommen kann.